Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
Bitte versuchen Sie es zu einem späteren Zeitpunkt erneut.
WANDERER
(Diverse Komponisten)
Besuch am
16. März 2025
(Einmalige Aufführung)
Was mit kreativen Gedanken und einer Wanderung durch die Schostakowitsch-Welt begann, führte zu einer breiteren Reise mit Musik, Worten und Poesie.“ So schreibt Marita Schwab, Organisatorin und Pianistin des Abends, über die Entstehung des Programms, zu dem der Förderverein ehemalige Synagoge Kitzingen am Main geladen hatte. Es ist eines dieser verdienstvollen Konzerte, die immer wieder in den alten, oft liebevoll renovierten Synagogen angeboten werden. Ambitionierte Profis und Laienmusiker graben musikalische Schätze von jüdischen Komponisten aus, setzen sie in Beziehung zu Werken anderer, seien es Tondichter, Dichter oder andere Kunstschaffende. Verschiedenste Konzepte sind die Resultate.
Foto © Jutta Schwegler
Hier in Kitzingen bei Würzburg ist es eine Einladung an das Publikum, durch den Winter zu wandern, sich den kalten Klängen hinzugeben und in die frostigen Welten einzutauchen. Durch die Mischung aus Text und Musik lassen die Mitwirkenden den Winter nicht nur als Jahreszeit, sondern als Seelenzustand erfahrbar werden. Schwab hat zwei eigentlich recht unterschiedliche, aber sich als Suchende doch wieder ähnliche Künstler dazugeholt: Bruder Julian Glienke, Benediktinermönch der Abtei Münsterschwarzach und Lehrer am dortigen Egbert- Gymnasium, und Yona-Dvir Shalem, Kosmopolit, in Israel geboren, seit vier Jahren in Würzburg lebend, Dichter, Übersetzer und Kurator von Ausstellungen, seit 2024 an der Hochschule für jüdische Studien in Heidelberg tätig.
Glienke ist mit seiner Viola die Stimme des Konzertes. Sehr sensibel und weich leiten Schwab und er nach einer kurzen Anmoderation durch Shalem den Abend mit dem ersten Lied aus Franz Schuberts Winterreise und einem Andante von Schostakowitsch ein. „Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh ich wieder aus“ und „Will dich im Traum nicht stören, Wär‘ schad’ um deine Ruh‘“ leiten programmatisch zu den anderen Stücken weiter. Vom Traum geht es über Heimatlos an den Fluss, passend dazu erklingt der Frühlingstraum von Schubert. Ebenfalls von träumerischen Welten erzählen das Sognando und Himmelkron – Magico von Lera Auerbach – jüdische Komponistin aus Russland, die mittlerweile seit Jahren in New York lebt und mit ihren Werken international arriviert ist. Sehr expressionistisch wirkt die Musik, aber gut anzuhören und in ihrer Zerrissenheit gut zum Abend passend. Shalem liest sein Gedicht Definitionen über Nähe und Ferne. Er trägt es zunächst auf Hebräisch, dann auf Deutsch und Englisch vor, dennoch ist der Sinn der Verse in dieser Situation schwer zu erfassen, obwohl sie im Textheftchen abgedruckt sind. Beim Vortrag des jiddischen Ikh vel dikh nisht ufvekn gerät man schließlich vollends an die Grenzen des Verstehens, aber da hilft eine englische Übersetzung von Auerbach im Textheft.
Foto © Jutta Schwegler
Heimatlos heißt der nächste Teil des Konzertes. Drei Stücke von Auerbach, Sion, Mulhouse und Theresienstadt-Tragico werden durch Schubert ergänzt, Der Leiermann und Wasserflut gesellen sich zu Widad Nabis Unsichtbare Brüche. Zeitgenössiche Lyrik einer kurdisch-syrischen Dichterin, Worte, die mit einer vom Krieg zerstörten Welt zurechtkommen müssen.
Im letzten Themenabschnitt Am Fluss rezitiert Shalem Jerusalem ist das Venedig Gottes des 1924 in Würzburg geborenen Yehuda Amichai und ein eigenes, im ähnlichen Stil verfasstes, Tau in Köln. Beide Gedichte evozieren die Unbeständigkeit, das Sich-Immer-Verändern wie der Fluss, verloren im Meer. Schostakowitsch betritt mit einem Moderato non troppo nochmals die Bühne, und am Ende steht Schuberts Auf dem Flusse. Schwab und Glienke geben sich hinein in die winterlichen Welten und loten die Emotionen tief aus.
Im Epilog kommt Clara Müller-Jahnkes Gedicht Eisnacht zum Vortrag, das den Bogen zum ersten Teil des Abends spannt: „durch die Nacht, die erschauernd schweigt, schreitet ein glitzernder Traum.“ Der Wanderer von Schubert entlässt die Zuhörer in die immer noch kalte Nacht des Vorfrühlings: „Und immer fragt der Seufzer, wo? Im Geisterhauch tönt mir’s zurück, Dort, wo du nicht bist, dort ist das Glück.“
Als Zugabe gibt es noch einmal die Eröffnung der Winterreise, von Schwab und Glienke nun sehr befreit vorgetragen. So können auch die Zuhörer beschwingt zum Umtrunk gehen.
Jutta Schwegler