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DIE VERWANDLUNG
(Jakob Fischer, Lorenz Schmidt, Olga Seehafer)
Besuch am
22. März 2025
(Einmalige Aufführung)
2010 gaben Manfred Engel und Bernd Auerochs das Kafka-Handbuch heraus, in dem Franz Kafka als meistgelesener Autor deutscher Sprache identifiziert wurde. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Prager deutschen Literatur und der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Tatsächlich ist die Faszination der Werke des 1883 in Prag geborenen und 1924 im österreichischen Kierling verstorbenen Schriftstellers bis heute ungebrochen. Seine Schilderungen unergründlich bedrohlicher, absurder Situationen schufen den Begriff „kafkaesk“, der auch im wirklichen Leben ganz selbstverständlich für paradoxe Erlebnisse verwendet wird. Theater- und Opernbühnen greifen die Stoffe von Der Process, Das Schloss, Amerika oder Die Verwandlung, um nur einige zu nennen, ebenso gern auf wie die Kinowelt.
Im vergangenen Jahr entwickelten Olga Seehafer, Jakob Fischer und Lorenz Schmidt im Hinblick auf Kafkas 100. Todestag ein neues Konzertprogramm unter dem Titel Die Verwandlung. Der Einfachheit halber benannten sie auch gleich ihr Trio so. Seehafer ist Sängerin, Schauspielerin und Regisseurin, studierte Darstellendes Spiel, Kunst und Germanistik in Bamberg. Germanistik, Kommunikationswissenschaft und Dramaturgie audiovisueller Medien studierte Fischer in Bamberg und Hamburg. Der Musiker, Texter und Dramaturg spielt im Trio Gitarre und E-Piano, übernimmt auch gern die Moderation. Der dritte im Bunde ist Schmidt, der Schlagzeug und Schauspiel in Hamburg studierte. Er ist für den Einsatz von Synthesizer, Schlagwerk und insbesondere der Handpan zuständig, einem Instrument, das aus zwei Halbkugeln mit eingelassenen Dellen besteht und sich hervorragend als melodiegebender Bestandteil des Schlagwerks eignet.
Nach einer Tournee durch Europa mit Stationen unter anderem in Paris, Riga und Prag sowie quer durch Deutschland darf das Trio sein Programm jetzt im Rabbit-Hole-Theater am Viehoferplatz in Essen präsentieren.
Foto © Michael Zerban
Der Titel Die Verwandlung führt ein wenig in die Irre, denn nicht die Erzählung aus dem Jahr 1912 wird als Stück aufgeführt, die aus dem Handelsvertreter Gregor Samsa einen Käfer werden lässt, sondern vielmehr wollen die Künstler das gewandelte Verständnis vom Werk Kafkas aufzeigen. Galt er nach ihren Worten in früheren Zeiten als Inbegriff von Albtraum, Wirrnis und Unverständlichkeit, wird Kafka heute als jemand verstanden, der psychologisch sensibel die Gesellschaft beschreibt. In seinen Augen war das „normale Arbeitsleben“ eine Kraft, die Menschen von sich selbst entfremdet, bis sie in undurchschaubaren Strukturen verlorengehen. Und so greifen die Musiker tief in die Kiste von Fragmenten, Tagebucheinträgen und persönlichen Briefen des Schriftstellers, um daraus ihre Musik abzuleiten, die sie selbst als literarisch-performativen Indie-Pop bezeichnen. Am Herzen liegt ihnen die Botschaft, Dunkelheit zu verbreiten, aber immer ein Licht brennen zu lassen.
Mit dem ersten Lied Die Verwandlung lehnt sich das Trio frei an seine Erzählung an und schließt versprochen optimistisch: „Niemand nimmt dir ab/Was du zu tragen hast/Niemand nimmt dir ab/Was du zu sagen hast/Trotz aller Not/Ein Lächeln/Bei diesem Gedanken/Ein Lächeln“. Neben einer eher ruhigen Musik, die sich durch den gesamten Abend zieht, erklingt die samtene Stimme Seehafers, die ebenfalls im Laufe der folgenden eineinviertel Stunden einiges an Verwandlung aufbietet. Der Straßenanzug wird erst mit einer Krawatte vervollständigt, ehe sie das Kostüm abstreift und in einem Kleid dasteht, das später durch einen Blazer komplettiert wird. Zwischenzeitlich greift sie immer wieder zu einem dicken Kafka-Wälzer, um daraus vorzulesen.
Foto © Michael Zerban
Unterstützt werden die Künstler von den Gastgebern Dominik Hertrich und Christian Freund, die für opulente Lichttechnik – mit häufigem Nebeleinsatz – und die nötige Tontechnik sorgen, um den bis auf die Handpan und ein paar Becken elektrisch verstärkten Instrumenten den nötigen Raumklang zu verleihen. Und so erklingt volltönend eine abgewandelte Form von Der plötzliche Spaziergang, einer sehr kurzen Erzählung, die eher an eine Fingerübung erinnert. Ob der Refrain „Und wenn du trotz all dem aufstehst“ sich wirklich nur auf den überraschenden Entschluss eines Hausherrn bezieht, der trotz widrigen Wetters und später Stunde noch einmal aus dem Haus geht, bleibt durchaus offen. Ein echter Mutmacher ist gar Fürsprecher, ein Auszug aus dem gleichnamigen Fragment, der den Hörer beschwört, nach neuen Wegen zu suchen und dabei stets nach oben zu streben.
Auch die Liebe darf an einem solchen Abend nicht fehlen. Man kann das Liebesleben des Schriftstellers durchaus als ungewöhnlich bezeichnen. Spekulationen, die ihm homoerotische Neigungen andichteten, gehören inzwischen der Vergangenheit an. Einen Heiratsantrag per Brief zu stellen, verleitet Seehafer, einen entsprechenden Brief an Felice Bauer vorzutragen. Und am Schloss interessieren die drei vor allem Auszüge aus dem dritten und elften Kapitel, in denen es um das Verhältnis des Protagonisten zu Frieda geht.
Typisch für den kafkaesken Humor ist das Fragment Gib’s auf, das das Trio vollständig vertont hat. Die missverstandenen Menschen spielen bei Kafka immer wieder eine Rolle, wie beispielsweise der Hungerkünstler, dem das Lied nach der gleichnamigen Erzählung gewidmet ist. Im nächsten Lied haben die drei eine wunderbare Stelle aus Der Prozess ausgewählt, die man als stellvertretend für die groteske Handlung verstehen kann. Und so kann einen die Zugabe, die den Kreis zur Verwandlung schlägt, auch nicht mehr erschüttern.
Das Publikum ist begeistert von dem wundervollen und kurzweiligen Vortrag. Der eine oder andere mag vielleicht den dramaturgischen oder musikalischen Aufschrei zwischendurch vermisst haben, aber das ändert nichts daran, dass es sich um eine großartige Hommage an einen Schriftsteller handelt, über den man sicher noch mehr erzählen könnte.
Michael S. Zerban