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Babylonisches Sprachgewirr

UMZUG IN EINE VERGLEICHBARE LAGE
(Elsa Artmann, Samuel Duvoisin)

Gesehen am
13. März 2021
(Premiere am 11. März 2021/Stream)

 

Tanzhaus NRW, Düsseldorf

Für denjenigen, der sich für den zeitgenössischen Tanz interessiert, wird das Tanzhaus NRW in Düsseldorf immer weniger zur Anlaufstelle. Das Gefühl, als Gast im ehemaligen Straßenbahndepot willkommen zu sein, um einen Überblick über die internationale Tanzszene zu bekommen, verliert sich zusehends. Dort regionale Tanzcompagnien zu sehen, gehört ohnehin zur Seltenheit. Stattdessen scheint das Haus überwiegend damit beschäftigt zu sein, sich in ideologischen Sprachübungen zu versuchen und sich mit Geschlechtsfragen auseinanderzusetzen. Was zu Zeiten der Kommune 1 noch eher ein sinnlich-körperliches Vergnügen und Experiment war, wird in der Gegenwart mehr und mehr zum Sprachk(r)ampf. Ob es tatsächlich zu den Aufgaben von Intendantin Bettina Masuch gehört, das Publikum mit Asterisken abzuschrecken, wird sie kaum noch beantworten wollen, weil sie den Schaden, den sie damit anrichtet, nicht mehr zu verantworten haben wird. Schließlich warten längst neue Aufgaben in Österreich auf sie.

Derweil dürfen die Düsseldorfer sich kopfschüttelnd abwenden, wenn sie in der Vorankündigung einer Compagnie auf der Website des Tanzhauses von „Zeitzeug*in“ und ähnlichem Unfug lesen. Wer weiß, was Zeitzeug ist, möge es für sich behalten oder ein Poesiealbum daraus machen. Vielleicht ist es auch besser, bei solchem Unsinn gleich nach anderen Online-Angeboten zu suchen. Denn dann erspart man sich die ausgesprochen schwierige Auseinandersetzung mit der neuesten Arbeit von Artmann & Duvoisin mit dem eigentlich ansprechenden Titel Umzug in eine vergleichbare Lage. Der zeitgenössische Tanz hat sich immer mit dem Einsatz von Sprache schwergetan, schließlich galt es, Sprache in körperliche Bewegung umzusetzen. Und über viele Jahre gab es zudem die Bewegung, auf Musik zu verzichten, weil sie vom Tanz ablenke. Inzwischen gibt es die vielgeübte Praxis, zumindest im letzteren Fall auf aktuell komponierte Musikfragmente zurückzugreifen, was ja nicht das Schlechteste ist, wenn man auf die Berücksichtigung neuer Kompositionen in der klassischen Musik blickt.

Elsa Artmann und Simon Duvoisin wollen auch die Sprachphobien sprengen. Und sie sind prinzipiell im Recht. Schließlich behauptet der zeitgenössische Tanz auch eine Rolle im gesellschaftlichen Diskurs für sich. Und da auf einen komplementären Einsatz von Sprache zu verzichten, scheint ja schon fast unmöglich, wenn man sich ernsthaft in die politische Diskussion einmischen will. Was sich die Choreografen allerdings mit ihrer Imitation des amerikanischen Formats News Animations der US-amerikanischen Tänzerin und Choreografin Simone Forti gedacht haben, erschließt sich nur schwerlich. Das Konzept ist einleuchtend. Nachrichtensendungen werden in Bewegungsmaterial umgesetzt, um so eine Diskussion zu beflügeln. Wie das in der Praxis aussieht, wollen Artmann & Duvoisin in ihrem neuen Stück zeigen. Wenn man allerdings Nachrichtensendungen bringt, die schon außerhalb einer Aufführung zunehmend nur noch nerven, weil sie tagtäglich auf das Publikum im Sinne einer Angstkulisse einhämmern, darf man sich über Reaktanz nicht wundern.

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Noch immer scheint die Schockstarre bei den Kulturinstitutionen nicht so ganz überwunden zu sein, sich mit dem Internet statt der Bühne auseinanderzusetzen. Erst wenige Bühnen beginnen damit. Auch im Tanzhaus NRW ist man davon noch weit entfernt. Zwei Kameras mit Zoom-Objektiven, ein paar Szenenwechsel abfilmen und schon ist die Online-Präsentation fertig. Gerade bei dem Stück von Artmann & Duvoisin hätten sich da noch ganz andere Möglichkeiten ergeben. So blickt der Zuschauer auf die nackte Bühne des Großen Saals im Tanzhaus. Rechts, links und mittig sind ein paar Treppenstufen aufgebaut, rechts ist eine Projektionsfläche aufgehängt. Mit der Raumaufteilung gibt es ohnehin Schwierigkeiten. Man hat keinen Moment das Gefühl, die Bühne sei vollständig bespielt. Hätte bei einer Online-Aufführung ja auch gar nicht sein müssen, wenn man nicht ständig die ganze Bühne in den Blick nimmt.

Die motorischen Leistungen der Akteure sind eindrucksvoll. Da wird getanzt, da werden Fäden gesponnen, ein Expander wird ins Spiel gebracht, es wird gesprochen und gesungen. Erst kurz vor Ende offenbaren sich dann doch konditionelle Schwächen, wenn die gestreckten Beine keine Ruhe mehr geben wollen. In der Gesamtleistung ergeben sich aber dann doch zu viele Fragen. Muss man sich wirklich drei Nachrichtensendungen anhören? Was wollen uns die Tänzer mit ihren Erzählungen sagen, die sich aufblasen, aber nie zu Ende geführt werden? Ständig herrscht das Gefühl vor, außen vor zu bleiben. In der Blase ist es ja ganz selbstverständlich, dass man sich englische Zitate von Politikern anhört, ohne eine Übersetzungshilfe angeboten zu bekommen. Dem Publikum ist es eigentlich nicht zuzumuten. Zudem ist es schwer, den Texten zu folgen. Was wollen die Akteure uns über Therapeutinnen und Touristinnen sagen? Und was die konvulsivischen Zuckungen während der Nachrichtensendungen?

Esoterische Anweisungen eines weiblichen Gurus, vorgetragen als Video über die Projektionsfläche, sorgen für Kopfschütteln. Da helfen dann die schön vorgetragenen Schritte zu Absolutely Everybody, die an eine Gruppenchoreografie in der Tanzschule erinnern, auch nicht mehr wirklich weiter. Dass man sich am Ende der Aufführung noch eine komplette Nachrichtensendung des Deutschlandfunks anhören muss, wird zum Ärgernis. Hier war mit Sicherheit viel gewollt, aber zu wenig gedacht. Dass der Blick über den Tellerrand nicht gelungen ist, zeigt schon der Umstand, dass hier nicht einmal für die Kamera oder ein gedachtes Publikum auf der Bühne getanzt wurde. Selten hat man so viel Rücken bei einer Aufführung gesehen. Wenn uns aber die Kulturanbieter nurmehr Rücken zeigen, kann es mit der Kultur auch nicht mehr weit her sein.

Michael S. Zerban